Nein sagen gehört nicht gerade zu Ihren Stärken? Sie leiden unter notorischer Ja-Sageritis? Lesen Sie in diesem Beitrag, wie Sie der Verlockung widerstehen, vorschnell Ja zu sagen und Ihnen das langersehnte Nein leichter über die Lippen geht.
Nehmen wir einmal fünf alltägliche Situationen, von denen Ihnen einige sicher vertraut sind.
- Die Kollegin bittet Sie mal wieder, einen Brief auf Französisch schreiben, „weil du das total gut kannst“. Sie können das tatsächlich gut, haben aber genug andere Dinge zu tun. Briefe auf Französisch fallen normalerweise eindeutig ins Ressort Ihrer Kollegin. Sagen Sie zu?
- Ein guter Freund möchte sich Geld von Ihnen leihen. Die Erfahrung zeigt, dass Sie dieses nie mehr sehen werden. Sie wollen beides nicht verlieren, weder das Geld noch den Freund. Willigen Sie ein?
- Ein Kollege steht in der Tür, während Sie eine wichtige Aufgabe bearbeiten. Er will „nur mal schnell 3 Minuten deine Hilfe“. Sie wissen, es werden garantiert mehr als 3 Minuten. Lassen Sie es dennoch über sich ergehen?
- Ihr Chef möchte, dass Sie noch diese eine „kleine“ Aufgabe erledigen. Ihr To-Do-Stapel platzt so schon aus allen Nähten. Sie wissen: Wenn Sie Nein sagen, dann stellt er freundlich in Frage, ob Sie „der geeignete Mann an der richtigen Stelle sind“. Sagen Sie zu?
- Anders als im letzten Jahr möchten Sie Ihren Geburtstag im kleinen Rahmen feiern. Da lädt sich jemand, der für den Kreis eigentlich nicht vorgesehen war, quasi selber ein: „ Du hast ja nächste Woche Geburtstag! Hast Du einen speziellen Wunsch? Soll ich zu der Feier etwas mitbringen?“ Fühlen Sie sich verpflichtet, die Person nun doch willkommen zu heißen?
Lautet Ihre Antwort überwiegend Ja? Würden Sie in diesen Situationen ein klares Nein nur mühevoll und ungern über die Lippen bringen? Damit geht es Ihnen wie vielen anderen Menschen auch. Wir lassen uns schnell zu etwas überreden, was wir doch eigentlich gar nicht so richtig wollen. Und leider bleibt es selten bei diesem einen Mal. Was treibt uns zu solch vorschnellen Einwilligungen? Was macht die Abgrenzung in diesen Momenten so schwer?
Warum wir uns mit dem Nein sagen so schwer tun … und warum es sich trotzdem lohnt
Es ist im Grunde ganz einfach. Eines unserer Grundbedürfnisse ist das nach Bindung. Wir wollen dazugehören. Und gebraucht werden. Mit einem Ja erhoffen wir uns insgeheim Anerkennung und Wertschätzung. Wenn wir uns nicht abgrenzen, dann tun wir das, weil wir Angst vor negativen Konsequenzen haben: Weniger gemocht und abgelehnt zu werden. Aber es gibt noch andere gute Gründe:
Wir mögen das Gefühl, etwas Positives zum Leben anderer beizutragen, etwas bewirken zu können.
Wir wollen andere nicht vor den Kopf stoßen oder verletzen.
Wir wollen nicht als herzlos, egoistisch oder egozentrisch gelten.
Wir haben den Wunsch, ohne Schuldgefühle durch den Tag zu gehen.
Der Preis für das „sich nicht abgrenzen“? Wir fühlen uns gestresst, wenn wir beispielsweise mit unseren Aufgaben nicht fertig werden. Viele meiner Coachingklienten berichten, dass sie am Abend oft heimgehen und sich fragen, was sie eigentlich den gesamten Tag gemacht haben. Gefühlt sind sie ständig unterbrochen worden. Nein haben sie selten bis nie gesagt: „Frau Bossmann, das kann man bei uns nicht machen“ ist eine Standardantwort, die ich auf meine naive Frage bekomme.
Oft braucht es nicht viel, damit das Leben stressfreier wird. Genau genommen reicht ein einziges Wort. Ein Nein kann Wunder vollbringen: Plötzlich hat man Zeit für Dinge, die man schon länger erledigen wollte. Umgekehrt bürden Sie sich mit einem Ja zur persönlich unwichtigen Angelegenheit weitere Belastungen auf. Ein klares Nein, das ist das beste orale Stressverhütungsmittel, das ich kenne. Claus Gademann, ein deutscher Schriftsteller, formuliert es auch ganz treffend:
So gelingt Ihnen ein selbstbestimmtes und charmantes Nein
Tipp 1: Finden Sie heraus, warum es Ihnen so schwer fällt, Nein zu sagen!
Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass es vielfältige Gründe und Erklärungen für das Nicht-Nein-Sagen-Können gibt. Der erste Schritt in Richtung Verhaltensänderung lautet daher: Kommen Sie sich selbst auf die Schliche! Nur wenn Sie sich Klarheit über Ihre ganz persönlichen Motive verschaffen, haben Sie eine realistische Möglichkeit, Ihre Bedenken und Ängste zu überwinden.
Fragen Sie sich: Was könnte passieren, wenn Sie öfter Nein sagen? Was ist das Schlimmste, das Sie sich vorstellen können? Was befürchten Sie? Was wollen Sie erreichen, wenn Sie Ja zu etwas sagen, zu dem Sie eigentlich Nein sagen möchten? Welcher Wert verbirgt sich dahinter?
Tipp 2: Halten Sie sich vor Augen: Es ist nie so schlimm wie man denkt. Und wenn doch, dann halten Sie Ihr Trostpflaster bereit!
Oft malen wir uns die schlimmsten Konsequenzen eines einfach Neins aus: Der Andere hält mich für herzlos, wird mich künftig ignorieren oder sogar die Freundschaft kündigen. Die Realität ist eine andere: Nein-Sagen an sich verändert meist nicht die Beziehung zum Gegenüber. Versetzen Sie sich gedanklich in die Lage des Anderen: Wie schätzen Sie Personen ein, die Ihnen ein bestimmtes „Ich möchte lieber nicht.“ entgegenbringen? Möglicherweise sind Sie zuerst gekränkt, aber letztendlich bewundern Sie die Stärke, Nein sagen zu können. Und wenn Sie fürchten, es wird in einer bestimmten Situation genau so schlimm, wie Sie denken, dann bauen Sie vor: Denken Sie jetzt schon daran, was Ihnen helfen könnte, die unguten Gefühle auszuhalten, die entstehen, wenn der Andere, zu dem Sie Nein gesagt haben, etwas schlechtes über Sie denkt oder erzählt.
Tipp 3: Besinnen Sie sich auf Ihre Nein-Sage-Fähigkeiten und stärken Sie Ihr inneres Ja!
Um es einmal ganz deutlich zu sagen: Nein-Sagen können wir alle. Das ist nicht das Problem! Jeder von uns kann in Situationen Nein sagen, die es unbedingt verlangen. Wenn die Schule anruft und Ihnen erzählt, Ihr Kind hat 40 Grad Fieber, dann können Sie auch den Kollegen stehen lassen. Wenn Sie möglicherweise Ihren Flieger verpassen, dann können Sie den Vielredner am Telefon unproblematisch stoppen. Wenn Sie wissen, Sie kriegen mit Ihrem Mann den größten Streit Ihres Lebens, wenn Matthias (in den Augen Ihres Mannes der größte Angeber) zum nächsten Grillfest antanzt, dann können Sie ihn ausladen. Wieso gelingt uns das Nein in diesen Situationen? Ganz einfach! Weil wir ein klares Ja vor Augen haben. Ich selbst kenne das auch. Ich lag gerade erst flach. Infekt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich je Kunden versetzt habe. Ich dachte immer, ich kann nicht Nein sagen. Dann kommen die nicht wieder. Vertrauen und so. Tja, was soll ich sagen? Dieses Mal war der Infekt so heftig, dass ich keine Chance hatte. Mir war klar, wenn ich den Termin nicht absage, dann werde ich umkippen. (Man könnte sagen, mein inneres Ja zum „stets professionell wirken“ war mir da sehr präsent J). Was lernen Sie daraus? Um das Nein wahrscheinlicher zu machen, brauchen Sie ein klares Ja. Das ist in der Situation, in der Ihr Kollege Sie um Hilfe bittet, nämlich in der hintersten Ecke Ihres Kopfes. Die unmittelbare Bedrohung (Angst vor Ablehnung oder so) steht Ihnen aber von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Fragen Sie sich für die Situation, in der Sie gern Nein sagen würden: Angenommen, es würde Ihnen in dieser Situation zukünftig gelingen, mehr Nein zu sagen, wozu würden Sie dadurch Ja sagen? Wie wären die Auswirkungen auf Sie, Ihnen wichtige Beziehungen, Ihre Arbeit, Kollegen etc.? Was würde durch das Nein an dieser Stelle auf der anderen Seite gestärkt und befördert?
Einem Coache ist genau diese klar geworden: Wenn er zu seinem Chef Nein sagt, dann sagt er Ja zu seiner Familie. Einem anderen, dass ein Nein zu dem dauerunterbrechenden Kollegen ein Ja zur Erfüllung seiner eigentlichen Aufgaben ist.
Die Stärkung des inneren Ja´s gelingt auch, wenn Sie sich klar machen, welchen Preis Sie für das Nicht-Nein-Sagen zahlen. In der konkreten, schwierigen Situation haben wir nämlich meist nur den Preis vor Augen, den wir zahlen, wenn wir unserem Gegenüber Nein sagen würden („Oh Gott, was denkt der nur über mich?!“). Fragen Sie sich aber doch einmal: Wer zahlt den Preis, wenn Sie weiterhin Ja sagen? Ihre Kinder, weil Sie nicht pünktlich Feierabend machen? Ihre Mitarbeiter oder Kollegen, weil Sie dauergereizt durch die Gegend laufen?
Tipp 4: Stärken Sie Ihre eigenen Antennen und gewinnen Sie Zeit!
Ganz oft geraten wir doch genau in die Situation: Der andere erwischt uns unvorbereitet zwischen Tür und Angel und wir antworten schon fast reflexhaft Ja, obwohl wir uns doch eigentlich vorgenommen hatten, endlich mal Nein zu sagen. Kennen Sie? Ganz normal. In unser aller Gehirn gleichen die Verknüpfungen, die uns zum vorschnellen Ja bewegen, einer großzügig ausgebauten Autobahn. Das geht alles blitzschnell. Was das heißt? Gewinnen Sie Zeit! Legen Sie sich ein paar Standardsätze zurecht, auf die Sie immer zurückgreifen können. Einige Klassiker: „Da möchte ich erst eine Nacht darüber schlafen“ oder „Gerade habe ich nicht die notwendige Zeit, um mich xy zu widmen. Es ist mir wichtig, das in Ruhe mit dir/ Ihnen zu besprechen. Ich melde mich.“. Was auch immer es ist. Selbst ein „Ich muss schnell auf´s Klo“ oder „Bin mit meiner Oma zum Telefonat verabredet “ wäre ok, wenn Sie nur die Zeit gewinnen, einmal durchzuatmen, sich zu überlegen, wozu Sie hier Ja sagen, wenn Sie Nein sagen (siehe Tipp 3)!
Tipp 5: Machen Sie ein Gegenangebot, setzen Sie ein Zeitlimit – ein Teil-Nein ist ein guter Anfang
Der Ton macht bekanntlich die Musik: Mit einem behutsamen und respektvollen Nein vermeiden Sie es, Ihr Gegenüber zu verletzen. Zeigen Sie Verständnis für seine Bitte, bedanken Sie sich dafür, dass er Ihnen die Aufgabe zutraut und Vertrauen in Sie hat. Oder setzen Sie einen Zeitrahmen: Wenn es die Umzugshilfe ist, bieten Sie Ihre Hilfe von 12-14 Uhr an. Alternativ können Sie einen Gegenvorschlag machen. Damit zeigen Sie, dass der Andere Ihnen nicht egal ist und machen gleichzeitig klar, dass Sie nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen. Das geht auch wunderbar mit den „Mal eben kurz 3 Minuten Reden“-Typen. Wenn Sie direkt zu Beginn sagen: „Ok, ich habe drei Minuten Zeit. Dann werde ich das Gespräch abbrechen, egal, wo wir gerade stehen“, wird es Ihnen leichter fallen, nach 3 Minuten tatsächlich das Gespräch zu beenden.
Tipp 6: Machen Sie sich klar: Sie haben eine Wahl!
Kein Roboter befindet sich in unserem Kopf. Kein grüner Gnom greift unsere Stimmbänder an. Sie haben stets die Wahl, wenn jemand Sie um etwas bittet. Oder um es in den Worten von George Orwell zu sagen:
Lassen Sie nicht zu, dass Sie durch das Wörtchen Ja anderen Menschen mehr Bedeutung zumessen als sich selbst. Ein Nein hat nichts mit Egoismus zu tun. Es drückt vielmehr das Recht und die Pflicht aus, sich um sich selbst zu kümmern. Lassen Sie nicht zu, dass jemand anderes Ihr Leben mehr gestaltet als Sie selbst. Werden Sie sich darüber klar, was Sie wollen.
Ich freue mich über Kommentare! In welchen Situationen fällt Ihnen die Abgrenzung besonders schwer? Wann ist es Ihnen gelungen? Was hat Ihnen geholfen, die Abgrenzung wahrscheinlicher zu machen?